Religion und Politik, Kirche und Staat in der

europäischen Tradition (Rede in Beijing 11.08.1998)

Antje Vollmer

Religion und Politik, Kirche und Staat in der europäischen Tradition.

Vortrag in Peking vom 11.08.1998, gehalten am Institut für internationale Studien

I. Einleitung Europa ist ein Kontinent mit einer langen und schwierigen Geschichte im Verhältnis zwischen Religion und Politik, zwischen kirchlicher Autorität und staatlicher Macht. Einerseits war dieses Verhältnis immer grundlegend für die Herausbildung der europäischen Kultur, ihrer Wertvorstellungen und Institutionen. Andererseits aber hat dieses Verhältnis in Zeiten der Krise und der Machtkämpfe den ganzen Kontinent gelegentlich an den Rand seiner Überlebensfähigkeit und dicht an das Chaos gebracht. Diese Geschichte nachzuvollziehen ist wichtig, um die heutige geschichtliche Lage in Europa zu verstehen. Dabei hat Europa verschiedene Modelle des Verhältnisses beider Mächte zueinander durchexperimentiert: -Die Identität von kirchlicher und staatlicher Macht in Form einer "Imperiums-Religion"; -eine Phase des Dualismus zwischen Kirche und Staat; -und schließlich eine Epoche der zunächst gewaltsamen und dann friedlichen Trennung von Religion und Politik. Ich möchte Ihnen im folgenden diese Epochen, ihre historischen Ursachen und geschichtlichen Erfahrungen kurz darstellen. Wobei das Leben und die Geschichte immer komplizierter und vielschichtiger ablaufen, als in einem so kurzen Vortrag darstellbar ist. Ich bitte sie also um Verständnis für manche Vereinfachung im Überblick. In einem letzten Teil will ich dann versuchen, Ihnen den Nutzen unserer heutigen Regelung für beide Seiten, für den Staat und die Gesellschaft einerseits und für die kirchlichen Institutionen andererseits zu erklären. II. Identität von staatlicher und kirchlicher Macht - das Christentum als Imperiums-Religion des Römischen Reiches. Das römische Reich als das eigentliche Vorbild europäischen Staats-, Geschichts-, Rechts- und Institutionen-Verständnisses hatte ursprünglich keine ausgeprägte tragende Religion. Zusammengehalten wurde das riesige Weltreich von einem einheitlichen Staats- und Rechts-Verständnis, der Pax Romana, von der Überlegenheit der römischen Armee, von einer effektiven Zentralverwaltung und von einem gemeinsamen Zivilisations-Bewußtsein seiner Bürger, das den anderen Mächten im Mittelmeerraum und vor allem den "Barbaren" überlegen schien. Später kam der Kult der Caesaren hinzu, der aber im Verständnis überzeugter römischer Republikaner immer umstritten war. Bei ihren Eroberungszügen zeigten sich die Römer in Bezug auf die religiösen Überzeugungen ihrer Vasallen deswegen auch weitgehend tolerant und anpassungsfähig, nach dem Motto: Gebt dem (römischen) Kaiser, was des Kaisers und Gott, was Gottes ist. Kamen die religiösen Überzeugungen ihrer neuen Untertanen der römischen Macht nicht in die Quere, ließ man sie weitgehend gewähren und arrangierte sich mit den lokalen Priestern. Das Christentum begann als Religion einer winzigen Minderheit an der extremen Peripherie des römischen Reiches. Die Römer hätten sich kaum dafür interessiert, wenn nicht diese Region zur Zeit des Lebens Jesu politisch sehr instabil und unruhig gewesen wäre. Die erste Christengemeinde war ganz der jüdischen Tradition verhaftet und wollte diese nur religiös radikal erneuern. So verstand sie sich nicht etwa als Anfang einer neuen Religionsstiftung, sondern rein echatologisch, als Prophet des bald bevorstehenden Endes aller Zeiten, wo mit der Wiederkehr des erlösenden Messias ein neuer Himmel und eine neue Erde entstehen würde. Dieser Sprachgebrauch allerdings legte es der römischen Verwaltung nah, einen baldigen politischen Aufstand, eine Revolution gegen die römische Herrschaft zu befürchten. Ein folgenreiches Mißverständnis! Im Bemühen, den Aufstand niederzuschlagen, wurde der Anführer, Jesus von Nazareth, hingerichtet und seine Anhänger, die Christen, als vermeintliche Revolutionäre verfolgt. Damit erst wurde Jesus unsterblich. Es war diese Erfahrung der drohenden Vernichtung, aus der heraus der strategische Kopf der ersten Gemeinden, Paulus, eine völlig andere Form der christlichen Botschaft entwickelte. Da er selbst sowohl im Judentum zuhause war, sich zum Christentum bekehrt hatte und andererseits römischer Bürger war, versuchte er aus allem eine Synthese in Form eines Missionsbefehls zu formulieren. Um den Christen eine Überlebenschance zu sichern, wurde er der erste 'Missionar' der einen Weltreligion, die allen gilt, den Juden und Helenisten, den Römern und allen anderen Völkern. Die Reisen, die Paulus dann in großer Eile unternimmt, umfassen den ganzen damals bekannten Weltkreis, der nicht zufällig identisch war mit dem imperium romanum. Urbi et orbi - der Stadt und dem Weltkreis sollte eine einzige Weltreligion verkündet werden. So band sich die Religion an das Imperium. Und sehr viel später - nach Jahrhunderten heftigster und blutigster Christenverfolgungen gerade auch in Rom - band sich auch das Imperium an die Religion. Es begann das Konstantinische Zeitalter, mit seinem typischen Selbstverständnis, daß man der umliegenden Welt zugleich die pax romana, das römische Recht, die römische Zivilisation und die christlichen Missionare zu bringen habe. Das Christentum war damit Legitimation und inneres Selbstverständnis des Imperiums geworden. Wer dazu gehören wollte, mußte Christ werden. III. Der Dualismus zwischen Kirche und Staat. "Zwei sind es nämlich, durch die an oberster Stelle diese Welt regiert wird: die geheiligte Autorität der Bischöfe und die kaiserliche Gewalt." Gelasius I (494) Wir überspringen jetzt eine ganze große Epoche, in der das römische Imperium in der alten Form zerfiel und neu aufgebaut wurde. Das ist die unsichere Zeit der Völkerwanderung und der Kämpfe um die römische Metropole, des Auf- und Abstiegs neuer Politischer Mächte im Mittelmeerraum. Daß Rom in all diesen geschichtlichen Umbrüchen die "Ewige Stadt", die Weltzentrale einer Weltreligion blieb, verdankt es vor allem der Herausbildung einer imponierenden kirchlichen Institution mit dem Papsttum im Zentrum. Dieses Papsttum erkannten auch die neuen Herrscher in Rom (besonders wichtig: die Franken) an, die zuvor missioniert worden waren. Das Papsttum überstand sogar die Zeit der religiösen Lehrstreitigkeiten und der großen kirchlichen Spaltung zwischen Ostrom und Westrom, die bis heute für Europa kulturell entscheidend sind (z. B. für die Krisen in der Balkan-Region oder auch für die Frage, ob Rußland "zu Europa gehört"). Die abgespaltenen östlichen und orientalischen Teile des Kontinents suchen sich mit der byzantinisch-orthodoxen Kirche ihr Zentrum in Konstantinopel und viel später auch in Moskau. Am Weihnachtstag des Jahres 800 wurde der Frankenkönig Karl der Große von Papst Leo III in Rom zum Kaiser gekrönt und erhielt gleichzeitig dessen Huldigung. Er versuchte das alte römische Imperium neu aufzubauen und gilt als der "Vater Europas". Er sicherte dem Papst einen eigenen Kirchenstaat und den Kirchen und Priestern feste Abgaben (den "Zehnten"). Gleichzeitig arrangierte er sich friedlich mit Byzanz, sicherte die Grenzen seines Reiches und modernisierte Verwaltung, Handwerk, Handel und Kultur. Es wurde eine große Blütezeit. Damit war zugleich der Grundstock gelegt zum mittelalterlichen System des späteren "Heiligen römischen Reiches deutscher Nation", das fast ein Jahrtausend bestand und formal erst 1806 aufgelöst wurde. Dieses System ist gekennzeichnet durch den großen Dualismus von Kirche und Staat, Kaiser und Papst. Dabei mußte der Kaiser dem Papst bei seiner Krönung den Treueeid leisten, während der Papst die Kirche in den Dienst des Reiches stellte. Im Falle eines gelungenen gegenseitigen Machtausgleichs bedeutete das für beide Seiten eine ungeheure Machtfüllle über Körper, Eigentum und Seelen der Bürger des Reiches. Im Falle eines Machtkampfes zwischen Papst und Kaiser drohte allerdings gelegentlich das ganze Reich zu zerreißen. So nahm der Kaiser sich häufig das Recht heraus, selbst den Nachfolger eines Papstes zu bestimmen, der dann von den Bischöfen gehorsam gewählt wurde. Umgekehrt konnte ein starker Papst so mächtig werden, daß er den Kirchenbann über den Kaiser aussprach, der ihn faktisch für abgesetzt erklärte und aus der Kirche ausschloß. In einem solchen Fall gelang es dem Karolingerkönig Heinrich IV nur durch den berühmten "Gang nach Canossa" (1077) mit einer Buß- Wallfahrt und einer Unterwerfung unter Papst Gregor VII sein Reich zu erhalten. Aus dieser für das ganze Reich und die Kirche bedrohlichen Erfahrung entstand nach langen Kämpfen zwischen Papst und Kaiser im Jahre 1122 die Idee eines KONKORDATS, eines vertragsmäßig ausgehandelten Interessenausgleichs zwischen beiden Mächten. Die wichtigsten Punkte dieses Wormser Konkordats sind: Der Kaiser verzichtet auf das Recht, freie Bistümer und Abteien mit Männern seines Vertrauens zu besetzen (Investitur mit Ring und Stab) und anerkennt die freie kirchliche Wahl und Weihe der kirchlichen Autoritäten für den rein kirchlichen Teil ihres Amtes. Er verspricht, die Kirche zu schützen, wenn sie ihn darum bittet. Dafür wird vom Papst sichergestellt, daß diese Wahlen in Gegenwart des Kaisers stattfinden und daß die weltlichen Ämter und Lehen der Bischöfe weiterhin vom Kaiser mit dem Zepter verliehen werden, worauf diese dann dem Kaiser den Lehnseid leisten. Auch der Papst verspricht, den Kaiser fortan in seinem Amt zu unterstützen und segnet ihn. So behielt der Kaiser in weltlichen politischen Dingen die Oberhoheit, während die Kirche in religiösen Fragen und in Fragen der kirchlichen Ämter ihre Unabhängigkeit behauptete. Es sei nur nachgetragen, daß dieser Kompromiß im Inneren vermutlich mit dazu beitrug, daß sich das "Heilige römische Reich" sehr bald aggressiv nach außen wenden konnte, mit den Kreuzzügen. Ein finsteres und aggressives Kapitel der Missions- und Expansionsgeschichte des sogenannten christlichen Abendlandes. Eine wichtige neue Etappe im Verhältnis von Kirche und Staat wurde mit dem Zeitalter der Reformation, dem 14. und 15. Jahrhundert begonnen. Die Reformation hatte im wesentlichen drei Gründe: 1. Mit dem geklärten Verhältnis von Kaiser und Reich bildeten beide einen festen gemeinsamen Machtblock, der ungeheure Reichtümer auf sich vereinigte. Fast der gesamte Grund und Boden war mittlerweile zu kaiserlichem oder kirchlichem Lehen mit feudalen Abgabepflichten geworden. Die Opposition dagegen wuchs überall. 2. Die Städte und mit ihnen das reich und selbstbewußt gewordene Bürgertum der Handwerker und Handelsherren strebten nach größerer wirtschaftlicher Unabhängigkeit und kirchlicher Reform und Toleranz. Darauf gestützt wollten auch viele Landesfürsten größere Rechte und warteten darauf, sie dem Kaiser abzutrotzen. 3. Innerkirchlich gab es eine wachsende Opposition gegen den Reichtum der Kirche und den Luxus ihrer Bischöfe und Kardinäle, die der Botschaft Jesu von Nazareth direkt widersprachen, der ein "Evangelium der Armen" verkündet hatte. Gerade die kirchliche intellektuelle Führungsschicht mit ihren Universitäts-Lehrern (Jan Hus, Philipp Melanchton, Martin Luther) begehrte dagegen auf und forderte dringend innerkirchliche Reformen. Es war klar: eine Reform der politischen Macht ohne kirchlichen Rückhalt war völlig undenkbar. Niemand, der damals gelebt hat, hat sich das Existieren einer Gesellschaft, eines Staates, eines Volkes ohne religiöse Überzeugung und ohne göttlichen Segen vorstellen können. So ergab sich fast selbstverständlich ein Interessenbündnis der Landesherren, der Städte, der Bauern, die unter der Feudalherrschaft litten, mit den Predigern der innerkirchlichen Opposition, die gegen Rom opponierten. Die Reformation der "Protestanten" breitete sich in Windeseile aus, immer mehr Städte und Landesherren schlossen sich ihr an. Die Frage war: auf welche Seite würde sich der Kaiser stellen? Er entschied sich dafür, das Papsttum und die katholische Kirche zu stützen. Und so begann ein Bürgerkrieg als Religionskrieg mitten in Europa, der fast 100 Jahre dauerte. Die Folgen waren katastrophal: die Länder verwüstet und wirtschaftlich ruiniert, die Bevölkerung fast um die Hälfte dezimiert und moralisch verroht. Es wimmelte von Armen, vagabundierenden Söldnern und entwurzelten Existenzen. Wer zu welchem Glauben und wer zu welchem Heer gehörte, war kaum noch unterscheidbar. In ganzen Landstrichen existierte weder staatliche noch kirchliche Verwaltung. Erst nach völliger gegenseitiger Erschöpfung wurde 1648 im Frieden zu Münster ein Friedensabkommen geschlossen, bei dem die europäischen Territorien zwischen Katholiken und Protestanten ungefähr halbe - halbe aufgeteilt wurden. In Religionsfragen wurde der Kompromiß festgeschrieben, der schon in Augsburg formuliert worden war: cuius regio, eius religio. Wer in einem Gebiet herrscht, der bestimmt auch die Religionszugehörigkeit. Die Untertanen, die einem anderen Bekenntnis zugehörten, mußten das Land verlassen. Europa aber hatten endgültig die historische Lehre begriffen, daß der Fundamentalismus der Religionskriege die grausamsten Zerstörungen bringt. Es wurde vorsichtig in der Behandlung religiöser Grundsatzfragen. IV. Die Trennung von Kirche und Staat in der Neuzeit. Lieber Gott, wenn es dich gibt, sei meiner Seele gnädig, wenn ich eine habe. (Voltaíre) Es war die traumatische Erfahrung der großen Religionskriege, aber auch die Entwicklung der Wissenschaften, aus der die großen Denker der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, (Descartes, Locke, Voltaíre, Kant u.a.) den Schluß zogen, daß überhaupt ein Staatswesen ohne religiöse Verwurzelung und Identität vorstellbar sei. Sie lehrten, der Mensch könne sein Glück und vollkommene Tugend finden, wenn er die allgemeinen Gesetze der Sittlichkeit und der Ethik gemäß seiner Vernunft einsehe. Dieses allgemeine Sittengesetz, als Vernunft-Konsens aller Bürger, begründet auch jedes gute Staatswesen. Der Glaube an die Vernunft, an den Fortschritt von Wissenschaft und Kultur ersetzte vielen Aufklärern den Glauben an Gott. Auch traten sie für Toleranz und die Idee der Gleichheit aller Religionen ein. (Die Aufklärer waren damit vergleichbar den Konfuzianern). Die dem Geist der Aufklärung verpflichtete Verfassung der Vereinigten Staaten von 1789 erklärte folgerichtig Religion als Privatsache. Da aber viele Gründungsväter des neuen Amerika gerade wegen ihrer religiösen Glaubensfreiheiten das alte Europa verlassen hatten (z. B. die Pilgrimfathers, die Quäker u.a.), war der Gedanke der Religionsfreiheit und der religiösen Toleranz bis heute grundlegend für das amerikanische Selbstverständnis. Staat und Religionsgemeinschaften waren klar getrennt, aber der Staat schützte aktiv die Religionsfreiheit seiner Bürger als essentielles Menschenrecht. Brutaler verlief die Trennung von Kirche und Staat im Laufe der Französischen Revolution von 1789. Die Nationalversammlung griff die Kirche als Stütze des verhaßten Feudalsystems offen an, die Kirche verlor nicht nur ihre Privilegien, sondern auch den gesamten Grundbesitz. Priester sollten zu Staatsbeamten werden und den Eid auf die Verfassung des Staates leisten. Wer sich weigerte, wurde verfolgt. Diese Verfolgungen und die Jakobinischen Exzesse des Terrors (eine Art Kulturrevolution) brachten den Revolutionären einen großen Ansehensverlust im Volk und bald auch in ganz Europa. Nicht zuletzt deshalb erfand Napoleon später eine eigene "Religion der Republik", deren Kult, Sprache und Symbolik viele Anleihen bei kirchlichen Vorbildern nahm. Auch der Kampf gegen den verhaßten Feudalismus wurde relativiert. Zu seiner Kaiserkrönung in Paris ließ Napoleon den Papst aus Rom anreisen, der allerdings durfte nur zuschauen. Der Kaiser der Franzosen und größte Feldherr Europas krönte sich demonstrativ selbst. Die Kirche war nur noch Staffage bei pompösen staatlichen Ereignissen. Wenn Karl Marx Religion als "Opium für das Volk" bezeichnet hat, so befand er sich damit voll in der Tradition der radikalen Denker der Aufklärung. Die spätere Politik der sozialistischen Staaten gegenüber den Kirchen befand sich dagegen eher in der Tradition der Praxis der französischen Jakobiner. Und auch hier zeigte sich, daß sich auch diese sozialistischen Staaten bei längerer Dauer zu ihrer inneren ideologischen Stabilisierung vieler Symbole, Rituale und einer profanen Ethik bedienten, die viele Ähnlichkeiten mit religiösen Symbolen, Ritualen und einer Religionsethik haben. Im nachrevolutionären Europa nach der Ära Napoleons aber griffen die meisten Staaten wieder zu einem alten Mittel, das schon einmal eine Zeit der großen Krisen beendet hatte: das Konkordat. Alle modernen europäischen Demokratien haben die Trennung von Politik und Religion, von Staat und Kirche vollzogen. Aber mit Konkordaten und Staatsverträgen haben sie sich zugleich ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten versichert - zum beiderseitigen Vorteil. V. Das Konkordat - Der gesellschaftliche Nutzen einer positiv gestalteten Trennung von Kirche und Staat. Es gibt in den verschiedenen europäischen Staaten in Details unterschiedliche Regelungen eines Vertragsverhältnisses zwischen Kirche und Staat. Mit der katholischen Kirche werden regelrechte Konkordate jeweils direkt mit dem Vatikan geschlossen. Sie beanspruchen internationale Gültigkeit, so wie in diesen Staaten der Gesandte des Vatikans, der Nuntius, einen Botschafter-Status einnimmt. Die Protestantischen Kirchen, die keinen "Kirchenstaat" haben, schließen jeweils auf nationaler Ebene "Staatsverträge" ab. 1. Was regelt so ein Konkordat, bzw. so ein Staatsvertrag? - Er garantiert die freie uneingeschränkte Religionsausübung. - Er sichert der Kirche freie Wahl der Amtsträger und der bei ihr beschäftigten Mitarbeiter zu, selbstverständlich im gesetzlichen Rahmen - Er regelt die Eigentumsverhältnisse der Kirchen an Gebäuden, Grund und Boden, Klöstern, Friedhöfen -Er sichert und regelt die Bedingungen des Religionsunterrichtes in den Schulen -Er verpflichtet die Kirchen zur Übernahme sozialer Aufgaben (Krankenhäuser, Armen- und Altenpflege, Kindergärten, Fürsorge in den Stadtteilen, Behinderteneinrichtungen) -Er verweist die Ausbildung der Theologen und Religionslehrer in den Rahmen der staatlichen Universitäten; zwar sind eigene theologische Schulen möglich, aber sie haben sich an den Richtlinien der allgemeinen akademischen Ausbildung zu orientieren -Speziell in Deutschland wird auch die Einziehung der Kirchensteuern durch den Staat vorgesehen. Das gilt für die Bürger, die sich vor staatlichen Behörden als Kirchenmit-glieder eintragen lassen, wobei ein Austritt aus der Kirche jederzeit möglich ist. -Die Kirchen verpflichten sich darauf, alle ihre Tätigkeiten im Rahmen der Verfassung des demokratischen Staates auszuüben und seine Institutionen anzuerkennen. 2. Was für einen Nutzen hat der Staat von einer solchen Regelung? Vor allem: Sie sichert dem Staat Ruhe und Frieden im Inneren. Es ist letztendlich die Lehre aus Jahrhunderten von Kämpfen und Bürgerkriegen, die beide Seiten davon überzeugt haben, daß es ein friedliches und fruchtbares, ein respektvolles und dialogisches Verhältnis zwischen Kirche und Staat geben muß. Vor allem aber bekommt ein Staat, der Religionsfreiheit gewährt, Legitimität von Seiten seiner Bürger. Er bekommt Legitimität und Anerkennung von der internationalen Gemeinschaft. Und er versteht sich selbst damit als Erbe einer historischen Tradition. Erheblichen Nutzen hat der Staat davon, wenn er die große Menge sozialer Aufgaben (Armen- und Altenpflege, Behinderteneinrichtungen etc.) nicht allein in staatlicher Regie mit eigenen Vollzeit-Arbeitskräften durchführen muß, sondern dafür auch auf das Engagement und die hohe ethische Motivation der Religionsgemeinschaften und ihrer Mitglieder zurückgreifen kann. Die Ausbildung der Theologen und Religionslehrer in die Universitäten einzubinden ist das beste Heilmittel gegen Sektierertum und radikalen Fundamentalismus. Die Theologen werden so geradezu gezwungen, sich mit den besten Lehrern und dem Wissen ihrer Gegenwart
© 2015 Dr. Antje Vollmer